"DER DATIV IST DEM GENITIV SEIN TOD" |
Einigkeit, doch Recht auf Freiheit! So müsste jede Sprachlehre, jedes Stilbuch des Deutschen beginnen. Keine einzige beginnt so. Stattdessen blähen sich immer selbsternannte Sprachpäpste auf, uns allen zu lehren, was gutes Deutsch sei. Wirklich uns allen? Nun Bücher, die sich anschicken, gutes Deutsch zu lehren, wollen eigentlich in seltensten Fällen gutes Deutsch lehren: Sie stellen neben das Umgangsdeutsch und das Dichtungsdeutsch nur eine neue Sprachform: das Bildungsdeutsch. Bei diesem Bildungsdeutsch handelt es sich stets bloß um den ureigenen Geschmack des jeweiligen Sprachpapstes, der seine helle Freude daran hat, wenn seine Ratschläge die Blaupause für alles werden, was einem Intellektuellen künftig ans Ohr dringt. Wer seine Mitmenschen gerne pennälert und piesackt, dem sind solche Bücher die richtigen Leitfäden. Für niemand anderen sind sie geschrieben: Nur für Jünger, die dann ihrerseits wieder auf Mission gehen und verbal alle Andersgläubigen an den Pranger stellen, wenn sie die einzig richtige Lehre nicht anerkennen wollen. Ein moderner Hexenhammer für Sprachpriester ist Bastian Sicks 230-Seiten-Klage Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. Er nennt sich selbst einen "Wegweiser durch den Irrgarten der deutschen Sprache" und hätten wir Bastian Sicks "immer kluge Kolumnen" nicht, die in diesem Buch gesammelt stehen, wir würden uns im "Dunkel der deutschen Sprachregelungen" hoffnungslos verirren und wahrscheinlich nie wieder heraus finden! Bastian Sick will außerdem unseren "Sprachmüll" sortieren und den Leser durch die ach, beklagenswerte "Wildnis der deutschen Sprache" führen. Er möchte gegen "falsches Deutsch und schlechten Stil zu Felde" rücken, verzichtet dabei aber auf "größtmögliche Akribie". Natürlich! Bastian Sick ist in seinem Büchel nicht akribisch, also nicht genau: Er ist übergenauschlau. (Alle Zitate: aus Vorwort und Klappentext.) Ja gut, er ist witzig da wo er beobachtet und trocken resümiert. Und es ist ja überhaupt schön, dass jemand (neben Wolf Schneider und wie sie alle heißen) für mehr Sprachgefühl eintritt. Aber wenn so ein Buch nicht die Augen öffnet für Möglichkeiten, Biegsamkeiten und Reichtümer der deutschen Sprache, sondern den Blick immer nur einengt auf einen ganz dünnen Streifen dessen, was möglich (und richtig) ist, dann tut es unserer Sprache eben Unrecht. So ist auch vieles, was Sick schreibt, einfach nicht wahr. Es ist nicht wahr (S. 221), dass zwischen den Verben NÜTZEN und NUTZEN im Hochdeutsch kein Unterschied bestehe (vgl. beispielsweise Wenn du deine Zeit NUTZEN kannst, dann NÜTZT du dir selbst). Seine Einschätzung des Wörtchens WEGEN (S. 16) ist auch falsch; denn dass man im Deutschen manchmal lieber sagt "wegen dem Geld" statt "wegen des Geldes" ist keine so ultramoderne Erscheinung. Im Kapitel über die "Weselaner", "Münsteraner", "Hallenser", "Badenser" ist so gut wie jeder zweite Satz sprachhistorisch falsch; somit ist es verwunderlich, dass er die "Jenenser", die "Weimaraner", die "Anhaltiner", die "Pommeraner", die "Athenienser", die "Karthaginienser" und natürlich die "Bremenser Stadtmusikanten" nicht erwähnt. Außerdem möcht ich wissen, auf wen oder was er sich in seinem kleinen "ABC des Zwiebelfischs" (S. 205230) beruft. Hat er Tausende Listen des derzeit herrschenden Sprachgebrauchs ausgewertet? Schreibt er die Regeln aus dem DUDEN ab? Oder wachsen die Ratschläge allein aus seinem Gutdünken? Niemand weiß es. Doch ich wette, jeder zweite Leser übernimmt alles ungeprüft. Sick mosert an vielen sprachlichen Erscheinungen. Und er mosert nur, weil er sie aus völlig eigenem Geschmack nicht leiden kann. Bezeichnend ist, dass Sick so gut wie NIE Gewährsleute für GUTEN Sprachgebrauch anführt: Bei GUTEM Sprachgebrauch nämlich ist er selbst sein bester Gewährsmann. Aber für schlechten Sprachgebrauch hat er tausend Zitate von fremden Schreibern parat. Was Sick nicht kennt, bezeichnet er als "veraltet" und "falsch". Wer oder was ihn zum Richter befähigt hat, verschweigt er natürlich. Er spricht und schreibt leidlich deutsch; das reicht wohl. Heilsam ist es, Sicks Argumente gegen Argumente früherer Stillehrer zu halten. Was sagt Sick? Sick sagt z.B.: Eine SCHRITTWEISE Zunahme? Klingelt da nicht was? Aber hallo! In der Zentrale der deutschen Sprachpolizei schrillen in diesem Moment sämtliche Alarmglocken. Wörter, die auf -weise enden, gehören zur Familie der modalen Adverbien, auch Umstandswörter der Art und Weise genannt. Die Daseinsberechtigung von Adverbien besteht darin, Verben zu beschreiben, und nicht Nomen. Dafür gibt es die so genannten Adjektive, eine mit den Adverbien zwar unbestreitbar verwandte, aber dennoch andere Wortart. Adjektive haben den Adverbien vor allem eines voraus: Sie können als Attribute gebraucht werden, das heißt unmittelbar vor einem Hauptwort platziert werden. Der Roman ist mehrteilig - also ist er "ein mehrteiliger Roman", und MEHRTEILIG ist das Attribut. Die Zunahme erfolgt schrittweise, also handelt es sich um eine allmähliche, langsame, stetige Zunahme, aber nicht um eine schrittweise Zunahme. Würde es sich um einen Einzelfall handeln, wäre es ja nicht weiter schlimm Manager wie Politiker lieben gleichermaßen die großzügige Streuung von Wörtern der Art und Weise, wo sie nicht hingehören Längst haben auch die Journalisten die illegale Adjektivierung des Adverbs als fragwürdiges Mittel zur Verschönerung ihrer Texte entdeckt Gepflegte Sprache ist nicht immer nur eine Frage des Stils, sondern manchmal auch eine der korrekten Art und -weise. Und so weiter, bla bla bla. Was sagt zum gleichen Thema Eduard Engel in seinem Buch Gutes Deutsch von 1918? Engel argumentiert kurz und bündig: Darf man schreiben: ein teilweiser Ersatz, das schrittweise Zurückgehen, der glasweise Ausschank, der stückweise Verkauf, der stufenweise Fortschritt, die zwangsweise Vorführung des Angeklagten? Durfte Lessing schreiben: die stückweise Schilderung? Goethe: die stufenweise Ausbildung? Schiller: wechselweiser Übergang? Moltke: ein angriffsweises Vorgehen? Bismarck: die teilweise Vernichtung eines Werkes? Man schelte keinen, der sich auf die großen Vorbilder berufend "eine teilweise Erneuerung" schreibt, schnauze nicht gleich mit "höchst beleidigend" um sich, denn so tun nur die selbstgerechten makellosen Sprachbüttel Am Ende sind wir doch nicht alle zum Richten berufen, vielmehr: Ein Jeder fege vor seiner Tür, und rein ist gleich das Stadtquartier! Wovon uns Sick säubern will, von sprachlicher Freiheit nämlich, hat vor Sicks Zeiten haargenau zu dem Zustand geführt, den Sick nun als letzte Wahrheit verteidigt. Auch kann er nahezu keinen Satz ohne Fremdwort schreiben, keinen Satz ohne die allerabgedroschensten Modebrocken. Er schreibt also gerne von einer "rapiden Zunahme" (S. 11), einer "definitiven Lösung" (S. 19) oder einem "ultimativen Argument" (S. 22), und schon beim flüchtigen Durchblättern erscheint aller paar Seiten irgendein "Phänomen" (S. 30, 69, 87, 92, 110, 119) oder eine "Katastrophe" (S. 30, 44, 95, 135ff.) oder gar das völlige "Chaos" (S. 26, 38, 54, 73, 126). Seine wahren Lieblingswörter aber sind "Triumph", "Prinzip" und natürlich "Problem". Gegen SOLCHEN Stilnebel hätte Sick lieber anschreiben sollen! Er empfindet auch nicht (S. 216) die Geschmacklosigkeit der Sätze vom Schlag: "Der Elativ, auch absoluter Superlativ genannt, wird außer Konkurrenz verwendet", was bei lyrischen Gemütern für Gänsehaut sorgen muss. Außerdem fordert er (S. 115), statt z.B. klarer Wörter wie Wortwechsel, Streit, Wortgefecht, Zank, Zwist, Krach, Zoff, Bruch, Krieg, Gezänk, Streitigkeit, Gezeter, Gezerre, Reiberei, Spannung, Widerspruch, Hickhack, Für und Wider, Streitgespräch und 20 anderer guter Wörter: doch wieder öfter zu schreiben "Debatte", "Diskussion" und "Kontroverse". Tja, vergessen hat er nur noch die geschraubten, daher wohl unverzichtbaren Kraftwörter Disput, Divergenz, Konflikt, Diskurs, Differenz, Kollision und Renkontre. In diese Richtung geht sein Geschmack im Deutschen. Der beste Impfstoff gegen sprachliche Weisheitsschleudern wie Bastian Sick bleibt immer noch das alte Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. Dort erfährt man, dass nach WEGEN der Dativ-/Genitiv-Gebrauch seit dem 14ten Jahrhundert schwankt. Weiterhin dass bei NÜTZEN "nützlich sein" und bei NUTZEN "gebrauchen" mitschwingt. Man findet dort auch mehr als zwei Dutzend der von Sick bemäkelten -WEISE-Adjektive und staunt übrigens, dass der angeblich angelsächsische WEIL-Gebrauch (den unser Stilpriester in der ersten Buchauflage noch nicht beklagt) hierzulande schon seit dem 15ten Jahrhundert nachweisbar ist. Warum? weil: es ist so! Das Grimmsche Wörterbuch immerhin bringt Belegstellen aus der gesamten deutschen Literatur. Wo bleiben da Bastian Sick und alle überklugen "Kolumnisten" mit ihrem Sprachgeschmack? In Zweifelsfällen entscheidet nicht Richter Sick! Dies ist im Deutschen die einzige absolute Wahrheit.
© Mathias Deinert für PotZdam 2005 |